Das Drama von ARD und ZDF
Tags: Crossmedia, Change, Medienforschung, Strategie, ARD, ZDF, Studie
Ich liebe Medienforschung. Nicht nur, weil ein Chart mit nur einem kurzen Blick oft mehr Klarheit schafft als stundenlange Podiumsdiskussionen. Vor allem deshalb, weil empirische Daten in der Lage sind, Orientierung zu schaffen in einem Markt, der stark geprägt ist von subjektiven Wahrnehmungen meinungsstarker Akteure (aka: Journalisten).
Einer dieser Charts ist aus dem aktuellen Digital News Report 2015 des Reuters Institute. Er beschreibt die wöchentliche Reichweiten von News-Angeboten in Deutschland - Online, aber auch für Print, TV, Radio.
Spannend ist für mich dabei vor allem diese Frage:
Wie gut gelingt es etablierten Medienmarken, ihre Kundenbindung aus der analogen Welt in die digitale Welt zu übertragen?
Online-Marktführer Spiegel schafft das mit 16% recht gut - bei einem Wert von 14% im Print.
Auch bei BILD, Süddeutsche oder ZEIT liegen die Werte etwa auf gleicher Höhe.
Ein völlig anderes BIld ergibt sich für ARD und ZDF: Aus einer TV-Reichweite von sagenhaften 52% generiert die Tagesschau eine Online-Reichweite von gerade einmal 8% (sogar einschließlich der Unterhaltungsangebote ihres Senders). Bei den ZDF-Kollegen von heute und heute journal ist das Verhältnis von 38% zu 7% auch nicht besser. Schwach.
Sicher, das hat auch mit den Eigenheiten der Medien zu tun. Nachrichtennutzung online - und vor allem via Smartphone - ist zurecht weiter vor allem Text-basiert: schneller, selektiver, einfacher navigierbar. Und schließlich schaffen auch die privaten Konkurrenten wie RTL oder SAT1 den Medienbruch nicht, ganz zu schweigen von den Radio-Anbietern.
Entwarnung? Nein.
N24 oder n-tv zeigen, dass es auch anders geht. In ihren TV-Märkten besetzen sie kleine Nischen mit kümmerlichen Marktanteilen. Online dagegen belegen sie Spitzenplätze vor den Angeboten der öffentlich-rechtlichen. Und das mit deutlich weniger Personal, geringeren Etats.
Sie zeigen, dass etwas möglich ist, was ARD und ZDF bislang verschlafen haben: ihre Marke und ihre Kernkompetenz in den digitalen Wachstumsmärkten gezielt zu positionieren und auszubauen.
Bislang stellt das für die öffentlich-rechtlichen kein ernsthaftes Problem dar: Sie haben dank Beiträgen keinen wirtschaftlichen Druck. Und Ihre Kernzielgruppe mit einem Durchschnittsalter von 60 Jahren macht sie zu Marktführern im TV-Markt.
Aber bereits jetzt haben ARD und ZDF den Anschluss an das jüngere Publikum weitgehend verloren. Die Marktanteile der unter 50jährigen liegen längst im einstelligen Bereich - Tendenz weiter sinkend. Dieses digitale Kernpublikum - Basis künftiger Erfolge - erreichen sie schon in ihrem Stamm-Medium nicht mehr. ARD und ZDF sind gerade dabei, mit ihren Kunden auszusterben.
Und auch die vermeintliche Sicherheit der Beitragsfinanzierung wird sich langfristig nicht halten lassen. In den letzten Jahren musste sich das System vor allem der Angriffe profilierungsbedürftiger Politiker erwehren. Nun kommen andere hinzu: Es ist kein Zufall dass das online only-Angebot Huffington Post derzeit zum Angriff auf ARD und ZDF bläst.
Vor allem aber die Kunden - viele davon sicher 'Digital Natives' - sind immer weniger bereit, monatlich 17,50 Euro für Programmangebote zu zahlen, die sie weder nutzen noch kennen. So weigerten sich im vergangenen Jahr 4 Millionen (!) Haushalte in Deutschland, ihren Rundfunkbeitrag zu bezahlen. Und dank Social Media bleiben sie nicht länger stumm und vereinzelt, sondern verfügen nun auch über die Plattformen, die ihrem Unmut Gewicht verleihen.
Die Frage des digitalen Wandels entwickelt sich so zur Überlebensfrage für ARD und ZDF, für das öffentlich-rechtliche Rundfunksystem.
Oder wie es das Online-Magazin Nickles.de formuliert: "Das wird noch sehr lustig, bis das Kartenhaus der sich selbst regulierenden Kassierer restlos zusammenbricht."
Lustig? Sicher nicht.