Die letzten 10 Jahre der Öffentlich-Rechtlichen

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Die letzten 10 Jahre der Öffentlich-Rechtlichen

Johannes F. Reichert - Medienzukunft gestalten - Professionelles Changemanagement und Organisationsentwicklung zu Veränderungsprozessen in Medienunternehmen
Veröffentlicht von Johannes F. Reichert in Satire · 30 Mai 2018
Tags: StrategieChangeARDZDF
Vorbemerkung:
 
Das folgende Szenario liest sich wie der Traum eines Rechtspopulisten. Es ist – im Gegenteil –  Ausdruck meiner Sorge um den Fortbestand von Qualitäts-Journalismus. Ich arbeite regelmäßig als externer Coach mit engagierten und kompetenten ARD- und ZDF-Kolleg/innen an Veränderungsprojekten, die meist jedoch nur punktuelle Wirkungen erzeugen.
 
Sollten sich die aktuellen Tendenzen fortsetzen, wird dieses Land nicht nur ein zentrales Element des gesellschaftlichen Diskurses verlieren. Es wird ein anderes Land sein. Ein Land, in dem viele unserer zentralen Werte keine Bedeutung mehr haben werden. Deshalb:
 
 
„Wenn wir wollen, dass alles bleibt wie es ist, muss sich alles ändern.“
Giuseppe Tomasi di Lampedusa
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Silvester 2027

Die Jahresrückblicke der Medien sind gefüllt mit den üblichen Bildern: Erdbeben, Wahlen, Politiker, Soft News - business as usual. Als Randnotiz („Was sonst noch passiert ist“):
Die Abwicklung der einst so starken ARD, deren Reste an Immobilienbesitz, Pensionsansprüchen und Verwertungsrechten nun zum 1. Januar 2028 in eine Auffanggesellschaft überführt werden.
 
Die Jüngeren wundern sich: „ARD – was war das nochmal?
Einige ältere Zuschauer blicken wehmütig zurück: „Weißt du noch, damals …!?
 
Was ist passiert?
Wie konnte es geschehen, dass diese einst so mächtige Institution so schnell verschwand?

Wir starten im Jahr 2018, dem Jahr, in dem ARD und ZDF noch Marktführer in Deutschland waren – zumindest im linearen TV (Sie erinnern sich: Das war die Zeit der 'Fernbedienung', der Plastikbox, mit der man sich in den Livestream der Angebote einschalten konnte) und in einigen Radiomärkten.
 
Marktentwicklung
 
Schon seit Jahren war klar, dass die Angebote von ARD und ZDF fast nur noch älteres Publikum erreichten. Die Sender fixierten sich auf lineares TV und Radio, während das jüngere Publikum zunehmend digitale Angebote auf anderen Plattformen nutzte. Mit jedem Jahr verloren sie durch die demografische Entwicklung wichtige Stammkunden, ohne nennenswerte neue Zielgruppen zu erschließen.
 
Diese Entwicklung setzte sich auch nach 2020 stetig fort. Die Reichweite schrumpfte auf zuletzt 8% aller Deutschen, das Durchschnittsalter der Zuschauer und Hörer lag schließlich bei 68 Jahren.
 
Angebote

Für ein halbes Jahrhundert waren ARD und ZDF der Ort, an dem die die großen Sportveranstaltungen live miterlebt werden konnten: Olympia, Fußball-WM, Champions League! Und: Hier erreichten sie auch ein Publikum unter 50 Jahren.
Das änderte sich, als die Veranstalter ab 2014 zunehmend den materiellen Wert ihrer Events erkannten und damit begannen, die Übertragungsrechte meistbietend zu versteigern: ARD und ZDF konnten von da an bestenfalls teilweise berichten, verloren so immer mehr von den so wichtigen jungen Zuschauern - für immer.

Der „hochwertige Qualitäts-Journalismus“ der Sender orientierte sich bis in die 2020er Jahre ausschließlich an den kulturellen Kontext der Bildungselite („Lehrer und Redakteure“).
Die Vielfalt der Fragestellungen und Bedürfnisse anderer gesellschaftlichen Gruppen wurde in ungünstige Sendezeiten oder in Digitalkanäle ausgelagert - und in die Unterhaltung.
 
Dort sicherten sich die Sender – ebenso wie im Radio – ihre Reichweite zunächst durch Programmstrukturen, die sie von privaten Anbietern kopierten. Das Fehlen von eigenem Profil und Alleinstellungsmerkmalen aus Sicht der Kunden lies ihre Erfolgszahlen aber zunehmend schrumpfen.
 
interne Strukturen
 
Jahrzehntelang war das öffentlich-rechtliche System ein Wachstumsmarkt. Geschützt durch den Verfassungsauftrag, die Interessen von Landesfürsten und einen komfortablen Rundfunkbeitrag konnten sie sich weitgehend frei entwickeln.

Die komfortable Ausgangslage führte zu einer stetigen Ausweitung und Ausdifferenzierung der Programmangebote. Zur DNA des Systems gehörte die Vorstellung stetigen Wachstums und linearer Entwicklung mit hoher selbstreferenzieller Wahrnehmung. Disruptive Entwicklungen im Markt oder Reduzierung von Angeboten waren in der Innenarchitektur des System nicht vorgesehen, was eine strategische Steuerung fast unmöglich machte.
 
Weil zugleich wirksame externe Kontrollmechanismen fehlten, entwickelten sich die Sender zu selbstreferenziellen Systemen, strukturkonservativen Dinosauriern mit starken Beharrungskräften:

  • Effizient arbeiten? Wozu? Nur wenn's sein muss.
  • Kundenorientierte, marktfähige Angebote? Unnötig, unsere wichtigsten Kunden sind eh die Rundfunkräte!
  • Agile Arbeitsweisen? Wir machen das wie immer!
  • Synergien zwischen den Sendern? Nein – jeder macht sein eigenes Ding!
  • Sparen? Geht nicht, ohne unseren Kernauftrag zu beschädigen.
 
Akzeptanz

Es ist ARD und ZDF nie wirklich gelungen, die gesellschaftspolitische Bedeutung ihres Auftrags glaubwürdig zu vermitteln. Das war lange Zeit kein Problem: „Tatort“, „Tagesschau“, „Wetten, dass…!“ und die Bundesliga übernahmen die Rechtfertigung: „Jeder nutzt uns!“
Das änderte sich dramatisch, als die linearen Reichweiten sanken, die Bedeutung digitaler Medien zunahm:
 
  • „Wieso soll ich für ein Programm zahlen, das ich nicht nutze?“
  • „Wieso kann ich die Sendung nicht in der Mediathek sehen?“

Die sinkende Akzeptanz fand ihren Ausdruck in zunehmend geringerer Bereitschaft, für diese Programmangebote zu zahlen. So stieg die Zahl der Beitragsverweigerer seit 2016 stetig – nicht zuletzt, weil sie über Soziale Medien Plattformen fanden, diesen Protest zu organisieren und sichtbar zu machen.
 
Politischer Druck
 
ARD und ZDF waren schon immer Ziel politischer Ambitionen und Profilierungsbestrebungen. Was für CSU und FDP lange Zeit einer von vielen Spielbällen war, entwickelte mit dem Rechtspopulismus massive Schlagkraft: Unter dem Banner von „Lügenpresse“ und „Fake News“ gaben CSU, FDP und AfD den Unzufriedenen und Zahlungsunwilligen parlamentarisches Gewicht.

Die Nachbarn Dänemark und Österreich wurden schon 2018 mit ihren staatlichen Angriffen auf die journalistische Unabhängigkeit der Sender zum Vorbild – und zum Beleg ihrer Verletzlichkeit.

Nicht nur die AfD: Die Tageszeitungen – bedroht durch den Untergang ihres Geschäftsmodells – aktivierten alle verfügbaren Lobbykanäle, um den Sendern ein erfolgversprechendes Angebot in der digitalen Welt zu verwehren. Entsprechend wurden die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Sender zunehmend eingeschnürt: Weniger Geld, weniger sinnvolle Angebote, weniger Reichweite.
 
Digitale Disruption

Die strategische Inkompetenz und Halbherzigkeit, mit der ARD und ZDF auf die Entwicklung digitaler Medien und Märkte reagierten, führte zu ihrem weitgehenden Bedeutungsverlust für Zielgruppen unter 50, dann sogar unter 60 Jahren.

Während Netflix, Amazon, Google und Facebook schon 2018 mit Hilfe von Big Data, Algorithmen und agilen Prozessen attraktive Medienangebote für eine Vielzahl digitaler Plattformen entwickelten, fristeten die wenigen Vertreter nicht-linearer Angebote in den Sendern ein unterfinanziertes Nischendasein.

Noch bis in die 2020er Jahre wurde in manchen öffentlich-rechtlichen TV-Redaktionen  über die Notwendigkeit einer studentischen Hilfskraft für ‚Sendungsbegleitung im Web‘ als Ausdruck innovativer Kultur diskutiert: „Unser Weg in die Zukunft!“


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1. Januar 2028
 
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„Wenn wir wollen, dass alles bleibt wie es ist, muss sich alles ändern.“
 
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